Das Gundeldingerfeld wurde seit 1999 durch die Kantensprung AG im Baurecht vom ehemaligen Fabrikareal zum belebten Quartier entwickelt. De Initiant:innen vermachten der Kantensprung Stiftung die Nutzniessung aller Aktien und sicherten so, dass Dividenden der Stiftung zukommen.
Gundeldinger Feld – von der Maschinenfabrik zum Quartierzentrum
«Die fünf Kantenspringer haben den Rahmen für diesen lebendigen und inspirierenden Ort geschaffen. Mit der Nachfolgeregelung wollen wir auch langfristig dafür sorgen, dass der gesellschaftliche Mehrwert, den wir geschaffen haben, gesichert bleibt.» – Pascal Biedermann, Mitbegründer und Verwaltungsrat der Kantensprung AG von 2000-2023
Mitten in der Stadt Basel stand zur Jahrtausendwende ein 12’000 Quadratmeter grosses Fabrikareal zum Kauf. Fünf visionäre Köpfe hatten zwar kein Geld, aber grosse Träume und das Gefühl, dass man den Sprung ins Ungewisse wagen muss. So fanden sie einen Weg, das ehemalige Industrieareal zu übernehmen. Sie gestalteten dessen nachhaltige Umnutzung zu einem finanziell selbsttragenden Quartierzentrum mit durchmischtem Gewerbe, Gastronomie und kulturellen Aktivitäten. Das Gundeldinger Feld wurde über die letzten 20 Jahre zu einem Pilotprojekt auf vielen Ebenen. Unter anderem auch, weil es die Inhaber:innen nach den Prinzipien von Steward-Ownership (dt. Verantwortungseigentum) geführt haben.
Motivation für nachhaltige Entwicklung ohne Profitdruck
Als 1999 nach über hundert Jahren die Maschinentätigkeit auf dem Industrieareal Gundeldinger Feld stillgelegt wurde, übernahmen fünf visionäre Köpfe das Areal und konzipierten dessen Umnutzung. Damit die Träume für das Leben auf dem Areal Form annehmen konnten, benötigten sie neben viel Planung, Partnerschaften und Persistenz auch finanzielle Mittel sowie ein solides rechtliches Fundament. Dazu gründeten sie zwei Unternehmen. Die Gundeldingerfeld Immobilien AG erwarb mit eingeholten finanziellen Mitteln von drei privaten Investor:innen und drei Pensionskassen das Grundstück und wurde so zur Grundeigentümerin. Die Umnutzung des Areals, die architektonisch notwendigen Massnahmen und die Vermietung waren Sache der Initiativgruppe, die sich zur Kantensprung AG konstituierte. Dazu hat die Gundeldinger Feld Immobilien AG alle Gebäude entschädigungslos an die Kantensprung AG für 90 Jahre im Baurecht abgegeben. Als gleichberechtigte Aktionär:innen, Verwaltungsrät:innen und Geschäftsführer:innen der Kantensprung AG hatte die Initiativgruppe nun die volle Macht und Verantwortung darüber, wie das Areal zukünftig gestaltet und genutzt werden soll. Und dies taten sie erfolgreich. Nach sieben Jahren war die Transformation weitgehend abgeschlossen und alle Räumlichkeiten vermietet. Es entstanden 250 Arbeitsplätze und qualitativer Lebensraum. Seit 2002 ist das Areal ein Pilotprojekt für die 2000-WattGesellschaft. Zudem erhält die Baurechtgeberin einen marktkonformen Baurechtszins.
Die Initiativkräfte blieben dem Projekt treu und entwickelten es fortlaufend mit der gleichen Vision vor Augen weiter. Teil davon waren mündliche Vereinbarungen, dass sie die Kantensprung AG als not-for-profit Unternehmen führen, Gewinne auf dem Areal reinvestieren und keine Dividenden ausschütten. Das erfolgreiche Konzept zeigte sich auch in einer Wertzunahme von einem symbolischen Franken zu einem Steuerwert von mehreren Millionen Franken innert weniger Jahre. Die fünf Aktionär:innen der Kantensprung AG waren damit konfrontiert, dass die Steuerbehörde den Aktiennominalwert von CHF 20’000 nun plötzlich auf fast 2 Millionen Franken Vermögenswert geschätzt hatte. Vermögen, auf das sie aber kein Zugriff hatten, da ein Verkauf für sie nicht in Frage kam. Diese erfolgreiche Entwicklung gab so auch den Anstoss, bisherig per Handschlag getroffene Vereinbarungen und Wünsche für die zukünftige Entwicklung des Areals nun auch rechtlich bindend zu verankern. Damit das Gundeldinger Feld auch nach der Pionierphase seinen Ideen und Grundsätzen treu und in der Ausgestaltung ohne Druck von Profiterwartungen unabhängig bleiben konnte, begann das Initiativteam die Nachfolge innerhalb der Kantensprung AG zu regeln
Umsetzung durch Weitergabe der Nutzniessung
Die Initiant:innen vertraten stets die Überzeugung, dass das Gundeldinger Feld nicht dank ihnen, sondern durch sie ermöglicht wurde. Eine persönliche Bereicherung am Projekt war nie treibende Kraft des Initiativteams und sollte es auch zukünftig nicht sein. Während sie dies bereits umgesetzt hatten, wollten sie dies nun auch rechtlich verankern. So verhinderten sie, Nachfolger:innen in der Kantensprung AG der Versuchung nach oder dem Druck durch Profit auszusetzen und sicherten den geschaffenen Mehrwert.
Als Baurechtnehmerin ist die Kantensprung AG Eigentümerin der Gebäude auf dem Areal und verfügt dadurch über ein beachtliches Vermögen. Im Dezember 2014 hoben die Eigentümer:innen der Kantensprung AG dieses Vermögen auf, indem sie die Kantensprung Stiftung ins Leben gerufen haben. Der Stiftung haben sie die Nutzniessung der Aktien der Kantensprung AG übertragen. Über die Nutzniessung der Aktien fliesst der Reingewinn der AG sowie der Erlös bei einem allfälligen Verkauf oder Heimfall (Ende des Baurechts) an die gemeinnützige Kantensprung Stiftung. Diese wird unabhängig von der AG geführt. Um diese Unabhängigkeit sicherzustellen, ist keine gleichzeitige Doppelbesetzung in der Kantensprung AG und in der Kantensprung Stiftung möglich. Mitglieder des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung sowie Aktionärinnen oder Aktionäre der Kantensprung AG können nicht als Mitglied des Stiftungsrates kooptiert werden. Der Stiftungsrat verwaltet der Stiftung zugeführte Beträge und vergibt diese an Projekte, die dem Stiftungszweck entsprechen. Dieser lautet wie folgt: “Unterstützung von Ideen und Projekte, die sich in den Bereichen Erhalt, Umnutzung und Ausbau von Freiräumen und Liegenschaften, sowie umwelt- und sozialverträglicher Stadtentwicklung engagieren.”
Die 100 Aktien à 1’000 Franken der Kantensprung AG verbleiben als sogenanntes “nacktes Eigentum” bei den Aktionär:innen und können nun gemäss Statuten nur zum Nominalwert an Nachfolgende übertragen werden. Der Wert der Aktien, und damit die Rolle der Kantensprung AG, ist als Verantwortung zu verstehen, das Areal im ursprünglichen Sinn weiterzuführen. So sind gleich beide Kernprinzipien von Steward-Ownership erfüllt: Die Aktionär:innen der Kantensprung AG handeln selbstbestimmt, während finanzielle Anreize und persönliche Bereicherung davon getrennt sind. Die Gewinne erhält nämlich die unabhängige Kantensprung Stiftung in Form von Dividenden. Im Jahre 2022 erfolgte der erste Nachfolge-Prozess innerhalb der Kantensprung AG. Aktuell sind noch zwei der ursprünglichen fünf Initiantinnen und Initianten als treibende Kräfte involviert, während neue, aktiv involvierte Personen die Rollen der Ehemaligen übernommen haben. Die neuen Kräfte übernehmen die Aktien der scheidenden Personen und engagieren sich im Verwaltungsrat.
So fand das Initialteam gemeinsam eine klare Lösung, die Trennung von Stimm- und Gewinnrechten rechtlich bindend zu verankern und die Unabhängigkeit des Gundeldinger Feldes zumindest für die nächsten knapp 100 Jahre bis zum Ablauf des Baurechts zu gewährleisten. Dann tritt der sogenannte Heimfall ein und der gesamte Besitz geht an die Grundstückeigentümerin Gundeldingerfeld Immobilien AG zurück, wobei die Kantensprung Stiftung eine Heimfallentschädigung erhält.
Beständigkeit und Transparenz
Ursprünglich war nicht geplant, dass das Initiativteam das Areal alleine verwaltet. Auch ein Mieter:innenverein hätte planmässig Mitsprache über das Leben auf dem Areal. Dies wurde in den ersten Jahren den Mietparteien wiederholt angeboten, jedoch jeweils von ihnen ausgeschlagen. Es bestand seitens der Mieter:innen kein Bedürfnis, Mitverantwortung für die Gestaltung des Areals zu übernehmen. Vielmehr herrschte das ausgesprochene Vertrauen, dass das Kantensprung Team dies professioneller mache als sie. Dieses Vertrauen honoriert die Kantensprung AG mit gelebter Transparenz, offenen Büchern und einer weiterhin partizipativen Arealentwicklung im Rahmen einer jährlich durchgeführten Mieter:innenversammlung, die es den Mietparteien ermöglicht, ihre Anliegen einzubringen.
Unternehmenstyp: Immobilienprojekt
Motivation: Nachfolgeregelung und rechtliche Verankerung von gelebten Prinzipien
Rechtsform: Unternehmen ist eine AG mit Nutzniessung bei einer eigens dafür gegründeten Stiftung
Umsetzung in alternative Eigentumsstruktur : 2014
Die fünf Kantenspringer haben den Rahmen für diesen lebendigen und inspirierenden Ort geschaffen. Mit der Nachfolgeregelung wollen wir auch langfristig dafür sorgen, dass der gesellschaftliche Mehrwert, den wir geschaffen haben, gesichert bleibt.
– Pascal Biedermann, Mitbegründer und Verwaltungsrat der Kantensprung AG von 2000-2023
1. Zweckorientierung – Aktionär:innen dürfen den vom Unternehmen erwirtschafteten Reichtum nicht entnehmen. Stattdessen dienen die Gewinne dem Zweck des Unternehmens und werden entweder in das Unternehmen oder in die Interessengruppen reinvestiert oder gespendet.
2. Selbstbestimmung – Die Kontrolle über das Unternehmen liegt bei Personen, die eng mit dem Betrieb des Unternehmens, seinem Zweck und seinen Werten verbunden sind. Es ist nicht möglich, Stimmrechte automatisch zu vererben oder mit ihnen zu spekulieren und sie zum finanziellen Vorteil der Aktionär:innen zu verkaufen. Sie werden treuhänderisch gehalten und aufgrund von übereinstimmenden Fähigkeiten, Werten und Vertrautheit mit dem Unternehmen weitergegeben.
Zum Unternehmen: gundeldingerfeld.ch
Herausgeber: purpose-schweiz.org
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